Die Sechsachser der Reihen 1010 und 1110 bestimmten ab Mitte der 1950er Jahre das Bild der modernen ÖBB in den Nachkriegsjahren. Im Dezember 2003 quittierten diese beiden Lok-Baureihen ihre fast 50-jährige Einsatzzeit. Wiederaufbau. Als vor 70 Jahren die Waffen verstummten und die Republik unter alliierter Besatzung wieder gegründet wurde, war vor allem die Infrastruktur sehr schwer beschädigt, wenn nicht in weiten Teilen zerstört. Besonders die Bahnanlagen waren das strategische Ziel der zahllosen Angriffe alliierter Bomber. Dementsprechend hoch waren auch die Verluste an Fahrzeugen. Um den Engpass unmittelbar nach dem Krieg zu beheben, wurden umgehend verschiedene Maßnahmen zur Wiederaufnahme des Bahnbetriebs gestartet, die Hand in Hand mit der Wiederherstellung der Schieneninfrastruktur einhergingen.
Foto: (c) Christoph Posch
Ein wesentlicher Punkt war dabei die Ertüchtigung des hochwertigen Schienennetzes auf zumindest 120 km/h Betriebsgeschwindigkeit. Ein Manko war aber dabei, dass damals nur wenige vorhandene Fahrzeuge diese Geschwindigkeit überhaupt erreichen konnten. Nach der Abkehr von der Dampftraktion hatten die damaligen Verantwortlichen den Ausbau der Diesel und elektrischen Traktion im Sinn, wobei man technisch einen Vorteil in puncto Geschwindigkeit nur bei den elektrisch betriebenen Fahrzeugen sah. Die bisher eingesetzten Altbaufahrzeuge aus der Zwischenkriegszeit und kurz nach dem Anschluss an das Deutsche Reich vermochten das gewünschte Leistungsprofil nicht zu erreichen. Daher schied ein Nachbau von Vornherein aus.
Entwicklung von neuen Sechsachsern
Zu Beginn der 1950er Jahre wurden mit den Loks der Reihen 1040 und 1041 zwei erste Serien von Neubau-Elektrolokomotiven an die ÖBB geliefert. Basierend auf diesen Fahrzeugen wurde eine neue Lokfamilie entwickelt, die sich sowohl aus vier- als auch aus sechsachsigen Fahrzeugen zusammensetzen sollte. Die Achslast sollte vor allem bei den sechsachsigen Maschinen mit 18 Tonnen (20 Tonnen beim Vierachser) begrenzt sein, damit man die Fahrzeuge freizügiger einsetzen konnte. Als Höchstgeschwindigkeit peilte man grundsätzlich 110 Km/h bzw. 130 km/h für die Schnellzugsvariante an.
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Am damaligen Lokomotivmarkt gab es bereits moderne sechsachsige Lokomotiven. Die bei unseren Schweizer Nachbarn im Einsatz stehende Ae 6/6 war natürlich im Fokus der damaligen Techniker, wobei eine Beschaffung der Type wegen dem zu hohen Gesamtgewicht von vornherein ausschied. Dennoch hatte die erfolgreiche Schweizer Baureihe eine gewisse Vorbildwirkung auf die neue Österreichische Entwicklung.
Schnell- und Güterverkehr
Während die vierachsige Lok hauptsächlich für mittlere Dienste ausgelegt wurde, wurde den sechsachsigen Loks ein breites Spektrum an Aufgaben zu Teil. Es sollten zwei weitgehend einheitliche Loktypen, aber mit unterschiedlichen Aufgabengebieten geschaffen werden. Dies erforderte natürlich auch entsprechende Adaptionen im mechanischen Bereich. Während 1955 die erste Lok der Reihe 1010 auf Österreichs Schienen rollte, folge die erste Güterzuglok der Reihe 1110 nur ein Jahr später.
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Optisch und auch technisch waren die Maschinen ähnlich, jedoch grundsätzlich für ihren Einsatzzweck ausgelegt. Die 20 Lokomotiven der Reihe 1010 wurden als schnell fahrende Lokomotiven für den Reisezugsverkehr ausgelegt und 30 als Reihe 1110 für den schweren Güterzugsverkehr. Grundsätzlich ähneln sich beide Baureihen sehr; der größte Unterschied betrifft aber die Getriebeübersetzung. In vielen weiteren Details gibt es zusätzliche Abweichungen.
Umbauten
Bereits zwischen 1974 und 1975 wurden zehn Loks der Reihe 1110 mit Widerstandsbremsen ausgerüstet, die optisch an den geänderten Dachaufbauten erkennbar waren. Und mit Beginn der 1990er Jahre erfolgte die Umrüstung bei nahezu der Hälfte aller Maschinen mit einem vergrößerten Führerstand, der den Loks ein völlig neues Aussehen, samt einer neuen Lackierungsform, verlieh.
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Während der Stern der Loks sich schlagartig über alle elektrifizierten Bahnstrecken in Österreich ausbreitete, begann er Anfang der 2000er Jahre sehr schnell zu sinken. In der Anfangszeit wurden die Loks auf dem gesamten Hauptstreckennetz eingesetzt und später wurden die Sechsachser auch verschiedene Regionen konzentriert, vornehmlich auf jene, wo sich aufwändige Gebirgsstrecken befinden. Mit der Ablösung durch die neuen Taurus-Hochleistungsloks wurde die noch einsatzfähige Flotte sehr bald obsolet. Bis Dezember 2003 wurden alle Loks der Reihen 1010 und 1110 ausgemustert. Heute befinden sich zahlreiche Exemplare in musealer Erhaltung, mehrere davon sind noch betriebsfähig, und sind bei verschiedenen Sonderfahrten auch heute noch hautnah zu erleben. In jüngster Zeit werden einige Museumsmaschinen wieder im schweren Güterverkehr für andere Eisenbahnverkehrsunternehmen eingesetzt.
Fact Box: 1010 (1110)
Leistung: 4.000 kW
Geschwindigkeit: 130 km/h (110 km/h)
Gewicht: 106/109,8 t (106/144 t)
Stückzahl: 20 (30)
Baujahre 1010: 1955-1958
Baujahre 1110: 1956-1961