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Interview zum Thema Biotop Bahndamm

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Lebensraum für Reptilien. Täglicher „Hornvipern-Alarm“ auf unseren Gleisen wäre der Schlangenexpertin Helga Happ am liebsten!

Nicht wegen der Gefahren für Menschen – auf diese hat Helga als gelernte Pädagogin und „Schlangenexpertin“ unsere MitarbeiterInnen schon geschult –, sondern wegen der Liebe zu diesen Tieren und dessen vielfach ungeschützten Lebensräumen. Als eine von wenigen in Österreich zertifizierte Sachverständige für Reptilien und Gifttiere weiß sie auch Bescheid über die fulminanten neuen Lebensräume, die wir als ÖBB diesen Tiergattungen bieten. Egal ob wir darin arbeiten oder als Fahrgast entlang der Bahnstrecken unterwegs sind: „Vorsicht ist geboten!“ Nicht wegen der Gefährlichkeit der Tiere, sondern wegen des Schutzes dieser Tiere! Als Partner von WWF, Bird-Life, Naturschutzbund und dem Lebensministerium stehen wir gemeinsam für den Schutz aller Tiere ein, die entlang unserer über 3.500 Kilometer umfassenden Bahnlinie wohnen. Helga Happ, „die“ österreichische Schlangenexpertin im Gespräch:

ÖBB: Als Besitzerin von Österreichs größten Reptilien-Zoos bieten Sie über 1.000 Tieren artgerechten Lebensraum. Welche Bedeutung haben dabei ÖBB-Bahnanlagen für Ihre frei lebendenSchützlinge?

Happ: Die ÖBB-Bahnanlagen haben für die heimischen Reptilien eine äußerst lebenswichtige Bedeutung, da sie der größte zusammenhängende Trockenlebensraum in Österreich sind. Gerade in Kärnten und der Steiermark mit den vielen Wald- und Feuchtflächen sind Trockenbiotope Mangelware. Und Reptilien brauchen als wechselwarme, von der Temperatur abhängige Tiere warme, trockene und besonnte Lebensräume. Diese finden Sie vermehrt bei den ÖBB mit all den Stützmauern und Gleisbetten.

ÖBB: „Snakes go ÖBB“ – oder „ungiftiger“: Welchen Arten bieten wir auf ÖBB-Gründen einen Lebensraum?

Happ: Die größte Eidechse Europas, die seltene Smaragdeidechse, die bis zu 40 cm groß wird, besiedelt die Bahndämme und Stützmauern der ÖBB-Bahnlinien. Insekten, Spinnentiere und Schnecken zählen zu ihrer Nahrung. Auch die Mauereidechse, die mit ihren kaum 20 cm Länge deutlich kleiner bleibt, braucht trockene, steinige Lebensräume. An versteckten Plätzen findet man die Blindschleiche, eine Echse ohne Beine, die in erster Linie Schnecken verzehrt. Die größte Giftschlange Österreichs, die Hornotter, bereits vom Aussterben bedroht, nützt im Süden Österreichs, also in Kärnten und an wenigen Stellen der Steiermark, die Trockenlebensräume der ÖBB-Bahnlinien.

ÖBB: Was kann Ihr Verhaltenskodex „Auge in Auge“ im gemeinsamen Lebens- und Arbeitsraum der ÖBB-Anlagen zu einem verständnisvollen „Miteinander“ zwischen Schlange und Mensch beitragen?

Happ: Die wichtigste Verhaltensregel heißt: keine Schlange anfassen!

Unsere heimischen Schlangen beißen ausschließlich zu ihrer Verteidigung! Wer auf den ÖBB Bahnanlagen zu Fuß unterwegs ist, also die Mitarbeiter oder „Ferros“, sollte die Augen offen halten, um nicht unvermutet auf ein Reptil zu greifen. Die Schlangen vertrauen auf ihre Tarnfarbe, bleiben meist unbeweglich liegen und so kann es zu einer unliebsamen

Begegnung kommen. Fühlt sich die Schlange durch die unmittelbare Nähe des Menschen bedroht, bleibt ihr nur der Biss zur Abwehr. Wenn jemand auf eine Schlange trifft, kann er sie leicht mit einem Stock oder Ähnlichem vorsichtig von ihrem Platz verscheuchen. Sie flüchtet dann in ihr Versteck und  die ÖBB-Mitarbeiter können ihr Tun fortsetzen.

ÖBB: Gibt es Projekte, die wir als ÖBB noch besser und intensiver unterstützen sollten? Nach dem Motto: „Weniger reden und mehr tun?“

Happ: Die österreichischen Bundesbahnen tun sehr viel für die bedrohten Reptilien-Arten! Allein das Freihalten der Bahnstrecken von starkem Bewuchs, das Bestehenlassen der Stützmauern, die Lebensraum, Nahrungsangebot und Überwinterungsplatz für die Reptilien bieten, sichern Überleben. Vielleicht könnte man den Mitarbeitern Informationsangebote liefern, damit sie die Reptilien besser kennenlernen, denn „Was man nicht kennt, fürchtet man“, heißt es zu Recht im Volksmund.

ÖBB: Es gibt in Österreich sehr viele vom Aussterben bedrohte Tierarten. Erklären Sie uns bitte den Unterschied zwischen „Artenschutz leben“ und „Ist eigentlich eh egal“!

Happ: „Artenschutz leben“ heißt, dafür zu sorgen, dass wir – auch unseren Kindern zuliebe – in einer Welt leben, in der wir uns, vor der Haustür sozusagen, an verschiedensten Pflanzen und Tieren erfreuen können! Pflanzen, Bienen, Schmetterlinge, Vögel, Eidechsen und auch die Schlangen gehören wie unzählige andere Tiere in und zu unserer Natur und bedingen unser Überleben auf dem Planeten Erde! Und „eh egal“ heißt, mir selbst den Lebensraum, das Überleben zu nehmen. Der Mensch ist Teil der Natur, wie es jedes Tier und jede Pflanze ist!

ÖBB: Ein Erlebnis Ihrer langjährigen Tätigkeit, das Sie noch immer zu Tränen rührt?

Happ: Wie ich über die Draubrücke unter der Hollenburg in Kärnten gefahren bin und gesehen habe, dass alle Stützmauern entlang der Bahnstrecke erneuert wurden, sind mir die Tränen gekommen. Die wunderbaren Lebensräume für Hornotter, Smaragdeidechse, Mauereidechse, Schlingnatter, Ringelnatter waren dadurch unwiederbringlich zerstört! „Warum habe ich niemandem von den österreichischen Bundesbahnen vorher über diesen bevorstehenden „Supergau“ erzählt!“, lautete meine Selbstanklage.

ÖBB: Mit einem Lächeln wunderten Sie sich über Menschen?

Happ: Auf verschiedenen Bahnhöfen in Kärnten leben erfreulicherweise Mauereidechsen. Und wenn nun Menschen anrufen und einen Lärm machen, weil da „exotische“ Reptilien herumlaufen, muss ich lächeln. Ja, ein wenig mitleidig, weil die Leute nicht wissen, dass eine heimische Eidechse kein exotisches Reptil zum Fürchten ist, sondern eher ein Grund zur Freude …


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