Im Millenniumsjahr 2000 wurde auch die erste von insgesamt 382 Taurus Hochleistungsloks von den ÖBB übernommen. Diese stattliche Flotte prägt heute das Bild in Österreich im Güter- und Personenverkehr. Aber auch im Ausland zählen die Taurus-Loks heute zum täglichen Bild.
Generationswechsel. In den 1990er-Jahren verfügten die ÖBB über ein wahres Sammelsurium an Lokomotiven unterschiedlichster Typen und Baujahre. Die ältesten datierten zurück bis in die 1920er-Jahre und wurden zum Teil noch im Streckendienst planmäßig eingesetzt. Die letzte Neubaulokomotive, die Reihe 1044.2, wurde bis Mitte der 1990er-Jahre abgeliefert und ersetzte im Wesentlichen die Konstruktionen aus den 1930er- und 1940er-Jahren im Streckendienst.
Kyoto. Als zweite bunte ÖBB-Taurus folgte die 1016.023, welche hellblau lackiert und mit Werbefolien zum Thema des Kyoto-Protokolls in enger Zusammenarbeit mit dem Lebensministerium ausgestattet wurde. In einem etwas abgewandelten Design wirbt sie auch heute noch. Foto: (c) ÖBB/Posch
Altbaulok-Potpourri
Trotzdem war eine hohe Anzahl an Lokomotiven vorhanden, die aus den ersten Nachkriegsjahren und aus den 1950er- und 1960er-Jahren stammten. Ein Ersatz dieser Baureihen stand an. Es musste aber auch eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, ob ein Weiterbau der Reihe 1044, die nicht mehr dem Stand der Technik entsprach, zielführend ist oder nicht. Auch andere Neubaubaureihen wie die 1014 und 1822 schienen nicht in das Nachfolgeprogramm zu passen. Der Tradition im österreichischen Lokomotivbau folgend entwickelte die heimische Industrie unter Federführung von Simmering-Graz-Pauker (SGP) in Graz eine völlig neue Lokomotivgeneration, die die Reihenbezeichnung 1012 erhalten sollte. Drei Loks wurden entwickelt mit einer zukunftsweisenden Leistungscharakteristik und einer Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h. Probleme bei der Inbetriebsetzung, aber vor allem der hohe Kaufpreis veranlassten die ÖBB neue Wege zu suchen. Auch die strengen internationalen Ausschreibungskriterien bereiteten einen neuen Weg in der Beschaffung.
Neue Technologie
Etwa zeitgleich entstanden in Deutschland mehrere interessante Prototyp-Fahrzeuge, deren bekanntestes die Euro-Sprinter Lok von Siemens/Krauss-Maffei darstellt. Aber auch die damalige ADtranz entwickelte Hochleistungsfahrzeuge. Ihnen gemein soll eine hohe Leistung bei gleichzeitig hohen gefahrenen Geschwindigkeiten
sein. In Deutschland gewann schließlich ADtranz den Auftrag zur Lieferung von insgesamt 145 Schnellfahrlokomotiven in Drehstromantriebstechnologie der Reihe 101 für die Deutsche Bundesbahn. Siemens zog mit der 152, einem direkten Nachfolger der Euro-Sprinter-Familie, einen großen Güterzuglokomotiven- Auftrag an Land. Ermutigt von den Ergebnissen in unserem Nachbarland wurde auch bei uns der Beschaffungsprozess Ende der 1990er-Jahre gestartet.
Eigenfertigung. Die Serienfertigung der Taurus-Hochleistungsloks erfolgte in Komponenten an verschiedensten Standorten von Siemens und den ÖBB. Die Endfertigung erfolgte bei TS in Linz. Foto: (c) ÖBB/ Posch
Neue Lokflotte
Die neuen ÖBB-Lokomotiven sollten eine Dauerleistung von 6.400 kW und eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h aufweisen. Sie sollten außerdem sowohl als schnell fahrende Züge als auch optimal im Güterverkehr einsetzbar sein und daher auch über hohe Anfahrzugkräfte verfügen. Infolge der zentralen Lage Österreichs war auch eine Zweifrequenzlok für Fahrten auf den 25.000-Volt- und 50-Hertz-Netzen der benachbarten Ost- und Südost-Netze vorgesehen. An dem möglichen großen Auftragsvolumen zur Lieferung von bis zu 400 Hochleistungsloks waren naturgemäß viele Hersteller interessiert. Bis zuletzt lagen Siemens mit dem Euro-Sprinter und ADtranz mit einem Ableger der 101 im Rennen. Aber auch Anbieter, besser Herstellerkonsortien aus Österreich, Italien, Frankreich oder der Schweiz lieferten interessante Angebote. Das Rennen entschied letztlich Siemens für sich und erhielt 1997 den Auftrag zur Lieferung von 50 Einsystem- und 25 Zweifrequenz Hochleistungslokomotiven. Ferner wurde eine Option für 325 weitere Fahrzeuge vereinbart.
Taurus ante portas
Am 12. Juli 1999 wurde die erste Taurus-Hochleistungslok im Herstellerwerk in München-Allach präsentiert. Die ersten vier Lokomotiven wurden direkt in München montiert, die restlichen Fahrzeuge bei den ÖBB im TSWerk Linz endmontiert. Dafür wurde sogar eine eigene Fertigungsstraße samt Infrastrukturanlagen eingerichtet. Die Drehgestelle stammten von Siemens Transportation Technik aus Graz (ehemals SGP). Der Stückpreis der ersten Fahrzeuge betrug 2,63 Mio. Euro. In weiteren Tranchen wurden insgesamt 50 Einsystem und 282 Zweifrequenz-Lokomotiven gebaut. Die Taurus 3, eine Dreisystemvariante, verfügt über andere konstruktive Elemente und kann trotz des ähnlichen Aussehens nicht direkt mit den 1016 und 1116 verglichen werden.
Revolution im Betriebsdienst
Die ersten Serienlokomotiven wurden im Jahr 2000 an die ÖBB übergeben. Schrittweise wurden auch die Fertigung in Linz und die Inbetriebsetzung vorangetrieben. Bereits am 10. April 2002 wurde die hundertste Neubaulokomotive an die ÖBB übergeben. Zeitgleich rollten Fahrzeug für Fahrzeug der älteren Lokgenerationen auf das Abstellgleis. Die Typenbereinigung reduzierte die Streckenlokomotiven auf nunmehr drei Generationen, wobei heute sogar eine Zweiflottenstrategie verfolgt wird. Von Anfang an waren die Taurus-Hochleistungsloks DIE Stars auf Österreichs Schienen. Sobald die ersten Loks im Fahrgastverkehr auftauchten, ging ein Raunen durch die Fahrgäste am Bahnsteig. Oft wurde auch applaudiert, als die erste Taurus gesehen wurde. Das habe ich als Autor dieser Seite selbst mehrmals in Graz und Villach erlebt.
Going Europe
Heute, nach rund 15 Betriebsjahren, zählen die Taurus-Loks zum Betriebsalltag bei den ÖBB. Egal ob vor schweren Güterzügen oder im railjet-Einsatz, die Loks der Reihen 1016 und 1116 prägen heute das Bild der ÖBB wie keine andere Lokgeneration vorher. Die Vorteile der Zweistromfähigkeit werden heute ebenfalls intensiv genutzt. Die Loks sind heute in Österreich, Deutschland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und in der Schweiz täglich im Einsatz, ebenso im Grenzverkehr nach Slowenien, Italien, Tschechien und in die Slowakei.
INFOBOX
ÖBB-Reihe 1016/1116
Leistung: 6.400 kW
Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h
Gewicht: 86 t (88 t mit ETCS)
Länge: 19.280 mm
Achsfolge: Bo‘Bo‘