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Der erste Cityjet ist unter der Haube!

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Diese Hochzeit wird bestimmt noch lange in Erinnerung bleiben. War doch der Bräutigam ein ziemlich großer Brocken: über zwanzig Meter lang und gut fünfzig Tonnen schwer. Aber nun ist der erste Cityjet bei TS unter der Haube.

Denn das erstmalige Aufsetzen eines Wagenkastens auf seine Drehgestelle wird Hochzeit genannt. Da ist Präzisionsarbeit gefragt. Wir waren bei einer Verheiratung dabei. Die Hochzeit des 4746 021 ist in der TS-Werkstätte in Jedlersdorf planmäßig im Jänner 2016 über die Bühne gegangen.

„Als Hochzeit wird das erstmalige Aufsetzen des Wagenkastens auf seine Drehgestelle bezeichnet“, erklärt Cityjet-Fertigungsleiter Josef Krispel.

Und da ist dann richtige Präzisionsarbeit gefragt. In der Jedlersdorfer TS-Werkstätte sind dafür zwei Arbeitsstände für das Aufsetzen der Wagenkästen eingerichtet worden. Mit beeindruckender Technik: Acht nagelneue Hebeböcke, die jeder für sich mühelos sechzehn Tonnen anheben, eine computergesteuerte Eckkraftverwiegungsanlage, zwei Gleiswaagen, ein 3-D-Laservermessungsgerät sowie eine Menge Computer stehen den dortigen TechnikerInnen zur Verfügung.

Ganz schön viel Aufwand für einen einzigen Arbeitsschritt, könnte man meinen. Doch der hat zweifellos seine Berechtigung. Denn damit der Zug später absolut sicher und ruhig unterwegs ist, müssen die Wagenkästen auf Zehntelmillimeter genau ausgerichtet werden, bevor sie mit ihren Drehgestellen verbunden werden.

Ja, ich will. Die Hochzeit eines Cityjets ist ein ziemlich umfangreicher Arbeitsschritt und dauert meist bis zu zwei Tage (c)ÖBB/Moitzi

Zehntelmillimeter entscheiden

Wir haben den TechnikerInnen dabei über die Schulter geschaut. Zu Beginn rollt der 4746 021 auf seinen Hilfsdrehgestellen in seine Position. Die vier Hebeböcke werden präzise ausgerichtet, die Anhebehaken eingesetzt und auf Knopfdruck schwebt der rund 50 Tonnen schwere Wagenkasten in die Höhe. Um bei den nachfolgenden Messungen exakte Ergebnisse zu erzielen, spielt jedes einzelne Kilo eine Rolle. Daher sind beispielsweise anstelle des noch fehlenden Lokführersessels entsprechende Ballastgewichte eingesetzt worden, Wassertank, Scheibenwasch- und Sandanlagen sind ebenso gefüllt.

Modernste Technik. In die Ausstattung der beiden Arbeitsstände sind mehr als 750.000 Euro investiert worden (c)ÖBB/Moitzi

Hightech, wohin man schaut

Hat der Wagen seine Endlage erreicht, werden mithilfe einer komplex anmutenden Metallkonstruktion Wankstützen, Torsionswelle, Tauchzapfen und Drehdämpferkonsolen am Wagenkasten montiert. Diese Teile stellen später die mechanische Verbindung zwischen Wagenkasten und Laufwerk her. Sind alle Anbauteile an ihrem Platz, startet der erste Hightech-Prozess: die Eckkraftmessung. Die Eckkraftmessanlage besteht im Wesentlichen aus vier Spindeln, die genau an den Auflagepunkten des Wagenkastens am Drehgestell positioniert werden. Dann übernimmt der Computer den restlichen Job und treibt die Spindeln so weit nach oben, dass der Wagenkasten nun nicht mehr auf den Anhebehaken, sondern auf den vier Spindeln ruht. An diesen vier Punkten werden dann die Eckkräfte gemessen und daraus die jeweilige Aufstandskraft am Laufwerk berechnet.

Gewichtsverteilung. Die Eckkraftmessung ermittelt die Aufstandskräfte. Differenzen werden mit speziellen Beilagen ausgeglichen (c)ÖBB/Moitzi

Unmittelbar danach, also noch bevor der Wagen mit den Drehgestellen verbunden wird, kommt der zweite Hightech-Prozess zum Zug: die 3-D-Laservermessung des Wagenkastens. Dabei werden mit einem Präzisionsmessgerät zuerst einmal der Langträger und die horizontale Lage des Wagenkastens vermessen und anschließend mit bis zu fünfzig Messpunkten die Seitenfronten des Wagenkastens. Der Computer errechnet daraus eventuell erforderliche Ausgleichsbeilagen, die dann beim Aufsetzen auf das Drehgestell zwischen Luftfederbalg und Wagenkasten montiert werden und dadurch für eine exakt horizontale Lage des Wagens sorgen. Dann kann sich der Wagenkasten endlich auf seine Drehgestelle senken – aber das Messen geht weiter. Bei der abschließenden Vermessung werden etwa Höhe, Spalt und Schräglage der Luftfeder sowie zahlreiche weitere Messungen im Laufwerk durchgeführt. In bestimmtem Rahmen können Abweichungen, die außerhalb der erlaubten Toleranzen liegen, noch mechanisch ausgeglichen werden – etwa durch Verstellen der Wankstützen oder zusätzliche Beilagen im Drehgestell. Liegen einzelne Werte aber weit außerhalb der Toleranz, heißt es: zurück zum Start. Und somit erneutes Ausrichten, Vermessen und Berechnen.

Punkt für Punkt werden mit dem 3-D-Laservermessungsgerät Unterkonstruktion und Wagenkasten exakt vermessen (c)ÖBB/Moitzi

Das verflixte sechste Jahr

Das ist aber in Jedlersdorf noch nicht der Fall gewesen, alle Hochzeiten sind planmäßig über die Bühne gegangen. Allerdings: Diese Hochzeiten haben alle ein Ablaufdatum. Die unvermeidliche erste Trennung erfolgt im verflixten sechsten Jahr. Dann steht nämlich die erste große Revision an, bei der die Drehgestelle ausgebaut und separat aufgearbeitet werden. Bis dahin heißt es aber: gute Reise – bis dass die TechnikerInnen euch wieder scheiden …

Hochzeits-Team. T. Plessl, D. Granitz, M. Peppert, J. Mosthammer, G. Dexinger, M. Schneider und K. Bischof (von links) (c)ÖBB/Moitzi


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