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Blitzeis, Kehren und Gletscher

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Wer im Kaunertal auf der höchstgelegenen Postbusstrecke Österreichs fahren kann, kann überall fahren, sagt eine alte Buslenkerweisheit. Diese Strecke – und einen, der sie fahren kann – wollten wir mal kennenlernen.

Das Bergpanorama ist umwerfend, und dabei sind wir erst losgefahren auf für Tiroler Verhältnisse wenig aufregenden 820 Metern Seehöhe. Hier in Prutz, das liegt in der Nähe von Landeck, steigen die meisten Fahrgäste in den Bus ins Kaunertal zu, um weiter hinauf, am Stausee vorbei, zum Bergrestaurant des Weißseeferners zu kommen. Es sind SkifahrerInnen im Winter, Wanderinnen und Wanderer sowie AusflüglerInnen im Sommer und immer auch Einheimische, die hier unterwegs sind und sich darüber freuen, dass es einen öffentlichen Bus in ein so entlegenes Bergtal gibt.

Ja, die Linie 4232 fährt hier das ganze Jahr über. „Bei Eis und Schnee, drum ist die höchstgelegene Strecke, die der Postbus fährt, wohl auch die gefährlichste“, erklärt uns Lenker Wolfgang Unterkircher, den wir bei seiner Fahrt begleiten.

Er kennt die Strecke wie seine Westentasche, jede Kirche, jeden Gasthof, jedes Bacherl und jeden drohenden Lawinenhang, den man von der sicheren Straße aus sehen kann. Seit mehr als 20 Jahren fährt Unterkircher seine Strecke, genau seit dem 1. Juli 1995. Erst sechs Jahre war der gelernte Mechaniker damals bei Postbus, als ein Lenker ausfiel und jemand für die KaunertalStrecke gesucht wurde.

Es hat sich aber auf die Ausschreibung niemand gemeldet, vielen war die Strecke zu gefährlich. Dann haben sie mich gefragt und ich habe gesagt: Ja, ich mach des. Und seitdem fahr ich“, sagt Unterkircher, „abwechselnd mit zwei Kollegen, im Winter und im Sommer.“

ScreenshotKaunertal6

Kettenanlegen ist Routine

Was Unterkircher heute noch reizt, ist, dass „kein Tag wie der andere ist. Manche wollen das nicht, mir taugt das.“ Manche fänden schon das viele Schneekettenanlegen und -runternehmen im Winter mühselig.

„Man muss genau wissen, wann der richtige Zeitpunkt zum Anlegen da ist. Das wird alles zur Routine, und so ein Montieren und Nachspannen auf beiden Rädern dauert fünf Minuten.“

Fahrgäste würden ihn oft ob der herrschenden Witterungsverhältnisse beeindruckt fragen, ob da ein Serviceauto käme, um beim Kettenanlegen zu helfen. „Wir sind aber immer auf uns alleine gestellt“, sagt Unterkircher und erinnert sich an einen Getriebeschaden, seinen einzigen in 20 Jahren, im ärgsten Schneefall („brutal!“), mitten auf der Strecke. Da war nichts mehr zu machen. Die Fahrgäste mussten im – zum Glück wohlig beheizten – Bus ausharren, bis der Kollege aus Landeck mit einem Ersatzbus kam und alle samt ihren Skiern umlud.

ScreenshotKaunertal1

Eisig und steil

Wir fahren am Faggenbach vorbei, auf einem der steilsten und eisigsten Streckenabschnitte überhaupt. Es kommt schon vor, dass die Straße gesperrt werden muss, wenn es extrem viel schneit. Die Lawinen werden dann per Hubschrauber runtergeschossen, danach wird die Straße wieder passierbar gemacht. Momentan liegt allerdings kaum Schnee, auch nicht in der Hauptgemeinde des Kaunertals, Feichten. Hier steigen mehrere Fahrgäste zu und werden freundlich begrüßt.

„Ich sag immer zu meiner Frau: ‚I kenn im Kaunertal jeden. Und jeder redt mi glei mit Wolfi an.‘“

Die Streckendaten hat „der Wolfi“ natürlich auch alle parat. Von Prutz zum Bergrestaurant Weißseeferner sind es 1.920 Höhenmeter.

„Ich hab es mir durchgerechnet, jeder von uns Busfahrern kommt im Jahr auf ungefähr 850.000 Höhenmeter“, beeindruckt er uns.

29 Kehren sind es bis hinauf, hin und zurück also 58, macht einen höheren Spritverbrauch und mehr Verschleiß bei den Reifen. Und seine 360 PS Leistung kann der Bus wegen der dünnen Höhenluft nicht immer auf die Straße bringen. „Kaunertal Panoramastraße“ lesen wir jetzt auf dem Mauthäuschen, hier geht die Privatstraße los, und jeder – auch die Busfahrgäste – muss Maut bezahlen. An Spitzentagen sind im Sommer viele RadfahrerInnen und MotorradfahrerInnen, oft 1.000 Pkws unterwegs. Die Steigungen sind aber zum Teil extrem, zwischen 12 und 13 %, und die Straße ist schmal. Es gibt wenig Stellen, wo Autos und Bus aneinander vorbeikönnen.

„Ohnehin ist der Fahrplan so gestaltet, dass der Verkehrsstrom in die Gegenrichtung fährt“, erklärt Unterkircher. „Aber irgendwer kommt immer entgegen. Wir kennen das schon, wer Autofahren kann, und wer nicht. Dann schieben halt wir mit dem Bus zurück.“

ScreenshotKaunertal2

Heute Sonne statt Eis

Kehre um Kehre fahren wir hinauf, Unterkircher ist konzentriert und vorsichtig:

„Bei so einem Tauwetter wie heute kann es Blitzeis auf der Straße geben, wenn das Wasser auf dem kalten Boden plötzlich friert, das ist extrem gefährlich und schwer abzuschätzen.“

Der Bus ist ganz ruhig unterwegs, aber natürlich, vor allem Kindern wird schon manchmal schlecht, und dann bleibt man kurz stehen, um Luft zu schnappen.

Am Ziel

Wir jedenfalls passieren friedlich das Gepatschhaus samt malerischer Kapelle und dann kommen extrem steile Serpentinen, im Winter noch dazu oft eisige, weil sie komplett im Schatten liegen. Ohne Ketten hat man dann hier keine Chance.

„Wenn man da fahren kann, kann man alles fahren“, sagt Unterkircher.

Die Sonne blendet uns. Früher ist der Gletscher bis hierher zur Straße gegangen, jetzt nicht mehr … Die Straße schraubt sich unentwegt weiter nach oben, Murmeltiere gibt es hier viele. Dann sieht man schon die Weißseespitze, und gleich kommt die Haltestelle Riffltal, Ausgangspunkt für Wanderungen auf den Glockturm. Und dann sind wir oben: Eine Stunde und zehn Minuten haben wir gebraucht von Prutz hierher zum Bergrestaurant Weißsee. Rundherum nichts als sonnenbeschienene weiße Berge und Gletscher. Die Aussicht ist atemberaubend – auch auf die jetzt unter uns liegenden Kehren. Wolfgang Unterkircher hat nicht lange Zeit, er muss laut Fahrplan nur ein paar Minuten später gleich wieder los ins Tal.

Guat gongan heit, nix isch passiert!“, lacht er und ist auch schon wieder weg.

ScreenshotKaunertal4

Ihr wollt mehr von dem sympathischen Postbusfahrer sehen und ihr auch hören? Dann schaut euch unser Video an:

Zahlen, Daten und Fakten

Landeck Bf– Weißseeferner 4232 – die höchstgelegene Postbusstrecke Österreichs Streckenlänge: 55 km
Die meisten Fahrgäste steigen in Prutz ein und aus: Streckenlänge Prutz–Weißseeferner: 40 km
Von Feichten im Kaunertal (1.273 Meter Seehöhe) führt die Gletscherstraße hinauf bis zum Weißseeferner auf 2.750 Meter Seehöhe.
Dabei werden auf der 26 Kilometer langen Gletscherstraße 29 Kehren und ein Höhenunterschied von knapp 1.500 Metern bewältigt.
Gefälle: bis 13 %
Fährt ein Lenker zwei Mal am Tag die Tour hinauf bis zum Weißseeferner, bewältigt er einen Höhenunterschied von rund 10.000 Metern.
Die Postbusse haben 360 PS, büßen aber durch die Höhenluft bis zu 30 % an Leistung ein


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