Doris Knecht ist Journalistin und Schriftstellerin. Ihr vierter Roman „Alles über Beziehungen“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen. Für unsere Mitarbeiterzeitung hat sie einen Artikel über das Bahnfahren verfasst, den wir auch hier veröffentlichen wollen.
Reisen war einmal anstrengend. Damals. Unterwegs sein; egal wie. Lag vielleicht an den zwei Kleinkindern in meinem Schlepptau, die man füttern, unterhalten, am Herumbrüllen hindern und auf dem WC davon abhalten musste, irgendetwas anzugreifen: mehr als acht Stunden lang, von Wien nach Feldkirch, von Feldkirch nach Wien. Jetzt reise ich meistens allein (oder mit den schon großen Kindern, die in einer anderen Sitzreihe unter ihren Kopfhörern verschwinden und sich selbst versorgen) und es ist ganz anders. Die Wege sind kürzer geworden. Die Züge sind jetzt Railjets. Es ist jetzt eine Art Wellness-Kurzurlaub mit Aussicht. Es ist Ruhe. Es ist ungestört Musik hören und dabei zum Fenster hinausschauen. Es ist Landschaftsbeobachtung und On-the-Road-Philosophie: Würde ich hier leben wollen? Was sind das für Menschen, die da die Geleise entlangspazieren? Die Frau, die da joggt: Ist sie glücklich? Dieses kleine Haus, dort, hinter den Bäumen: Wäre es schön, darin zu wohnen? Menschen mit Hunden. Rehe. Hübsche kleine Dörfer. Mehr Rehe. Die schäbigen, kantigen Ausläufer von Städten, funktional und ohne Charme. Noch mehr Rehe. Bahnhöfe, wartende Menschen, Umarmungen, Abschied und Glück.
Ich hatte eine kleine Lesetour. Zug, Stadt, Zug, Stadt, fünf Tage lang. Die Tour endete in Schaffhausen. Sehr schön; die Innenstadt, die Wasserfälle. Ziemlich weit weg von Wien, und ich überlegte, ob ich von Zürich den Flieger nehmen soll. Aber ich nehme nicht mehr gern den Flieger. Ich setze mich lieber acht oder neun Stunden in einen Zug, als vier oder fünf Stunden in Flugzeugen und an Flughäfen zu verbringen, in den Check-in-Schlangen, in den Sicherheitscheck-Schlangen, in verschiedenen Bussen, in den Schlangen im Gang des Fliegers, in den Schlangen vor dem Zoll. Im Sicherheitscheck, der mich immer die Schuhe ausziehen lässt, und letztes Mal wurde ich herausgepickt, denn sie hatten das hübsche, kleine Schweizer Taschenmesser gefunden, das mir ein Zürcher Freund geschenkt hat und das ich in meiner Tasche vergessen hatte. Sie maßen die Klinge ab und nahmen es mir ab, und ich wurde einem Sprengstoffcheck unterzogen. Fliegen ist Stress, immer.
Im Zug passiert mir das nie. Ich stieg in Schaffhausen in den Zug, ich stieg in Zürich in den Railjet um, ich fand meinen reservierten Platz. Der Zug rollte an, und es passierte, was immer in diesem Moment passiert: Aller Stress fiel von mir ab. Gleich würde ich meinen Kopfhörer aufsetzen, gleich würde ein freundlicher Zugbegleiter mein Ticket kontrollieren, gleich würde ich einen Espresso bestellen, aber jetzt erst mal: zurücklehnen, auf daheim freuen, glücklich sein.