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Auch Züge haben ein Zuhause

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Dass ein Zug am Bahnhof wartet und dann laut Fahrplan abfährt, ist für viele von uns selbstverständlich. Aber was passiert davor? Was muss alles getan werden, bevor sie auf den Startbahnhof überstellt werden? Wir waren am Knoten Matzleinsdorf und haben uns angesehen, was dort alles vor sich geht.Es ist Donnerstagabend, 19:00 Uhr und am Knoten Matzleinsdorf herrscht Hochbetrieb. Vom Planungsbüro im zweiten Stock des Betriebsgebäudes hat man einen guten Ausblick auf die Gleise, auf denen gerade fünf Züge warten. Ein sechster, es ist ein IC, nähert sich langsam vom Hauptbahnhof – maximal 25 km/h sind auf dem Betriebsgelände erlaubt. Und nicht nur der Ausblick von hier ist toll, man bekommt gleich auch den besten Überblick. Denn im Planungsbüro sitzen diejenigen, die dafür verantwortlich sind, dass all diese Züge rechtzeitig ankommen und nach den nötigen Arbeitsschritten wieder pünktlich auf die Minute am Hauptbahnhof bzw. in Meidling zur Abfahrt bereitstehen.

Im Schnitt dauert das zwei bis drei Stunden – außer natürlich, es stehen Reparaturen an. Und auch die Euronights dürfen sich hier schon mal fast einen ganzen Tag lang „ausruhen“. Etwa auf halbem Weg zwischen Wien Hauptbahnhof und dem Bahnhof Meidling gibt es eine Abzweigung; eine kleine, unscheinbare Straße, die zu einem Tor führt. Es ist der Eingang zum Knoten Matzleinsdorf. Ein Areal, länger als 15 Fußballfelder, stellenweise 180 Meter breit. Rund 1.000 Menschen arbeiten hier.


Foto: © ÖBB/Kurt Prinz

Sie halten in der großen Werkstättenhalle die Loks instand, reparieren Waggons, reinigen und bereiten die Züge für ihre nächste Fahrt vor. Caterer beladen sie mit Speisen und Getränken, Schlafwagen werden ausgestattet. Im großen Betriebsgebäude liegen außerdem die Büros der großen PlanerInnen, die dafür sorgen, dass dies alles zur richtigen Zeit passiert. Wir werfen einen Blick in die Cosware- Datenbank, die die komplexe Einteilung und Planung der 1.500 dem Wiener Hauptbahnhof zugeordneten Fahrzeuge – also sowohl Loks als auch Waggons – überhaupt möglich macht.

Verschieber am Werk

Während wir vorbei an den Ruheräumen der LokführerInnen hinunter zu den Gleisen gehen, erfahren wir von Knotenmanager Erwin Stöger, dass hier in 24 Stunden rund 135 Züge ein- und ausfahren. Einer davon, der IC von vorhin, rollt gerade heran und es dauert nicht lange, bis der Wagenmeister am Gleis auftaucht. Er untersucht jeden ankommenden Zug, schaut nach, ob es irgendwelche gröberen Schäden an Türen oder Fenstern gibt, checkt das Drehgestell.

Nachdem mit dem IC alles in Ordnung ist, übergibt der Wagenmeister den KollegInnen vom Verschub, die mittlerweile draußen warten, eine Liste. Denn einige Waggons des IC müssen aus dem sogenannten Umlauf, also der aktuellen Zusammenstellung des Zugs, herausgelöst werden. Am Knoten Matzleinsdorf wird nämlich nicht nur repariert und gereinigt, hier werden auch Züge gebildet und zusammengestellt.

Unser IC soll um zwei Waggons kürzer werden, und die VerschieberInnen machen sich gleich an die Arbeit. Als Erstes muss der Zug vom Strom genommen werden. Dann können sie die Waggons abkuppeln. Dabei trennen sie neben der Kupplung auch die Heiz- und Luftleitungen. Die Profis haben das mit wenigen Handgriffen erledigt.


Foto: © ÖBB/Kurt Prinz

Ab in die Werkstatt

Die beiden herausgelösten Waggons werden jetzt mit der Verschiebe-Lok abgeholt und hinüber in die riesige – und zum Glück gut beheizte – Werkstättenhalle gebracht. Erwin Stöger, der uns dort hinbegleitet, erzählt uns von all der Logistik, die hinter der Werkstättenplanung steckt.

Denn was, wenn ein Zug wegen geplanter Bauarbeiten wie etwa im November an der Weststrecke oder wegen einer unvorhergesehenen Störung nicht zu „seiner“ Werkstätte fahren kann? Dann kümmern sich die PlanerInnen darum, dass er in einer der 22 anderen Werkstätten in Österreich unterkommt. „Das hört sich einfacher an, als es tatsächlich ist“, erklärt der Knotenmanager, „denn man muss erst einmal klären, wer Kapazitäten hat – und ob auch die entsprechenden Ersatzteile lagernd sind.“ Außerdem ist der Knoten Matzleinsdorf natürlich nicht der einzige – sechs weitere gibt es in ganz Österreich. Für die beiden IC Waggons steht heute der sogenannte A-Check an, denn die letzte Überprüfung liegt schon wieder 20.000 Kilometer zurück.

Wenn man nun weiß, dass ein Fernverkehrszug täglich rund 1.500 Kilometer zurücklegt, bekommt man eine Idee davon, welche Fluktuation am Knotenpunkt herrscht.

„Den A-Check kann man sich im Grunde wie ein Auto-Service vorstellen“

erklärt uns ein junger Techniker, der hier heute seine Nachtschicht hat und gerade die Spannung an den Leitungen überprüft. „Außerdem kontrollieren wir noch alle Lichter, Klimaanlagen und Türen.“ Wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen, und daher folgt nach weiteren 20.000 Kilometern der B-Check. Der dauert länger, denn dabei werden zusätzlich alle Achsen und Bremsen kontrolliert.

Die Züge in der Werkstättenhalle stehen auf ganz normalen Gleisen – allerdings gibt es darunter eine Art Gang, damit die TechnikerInnen den nötigen Zugriff auf Achsen und Räder haben. Eine einmalige Chance, einen Zug von unten zu begutachten. Wir folgen dem Techniker aber erst einmal hinein in den Railjet am Nebengleis, wo er ein defektes Backrohr wartet. Die Griffe müssen immer wieder einmal getauscht werden. Im selben Zug, aber ein paar Waggons weiter hinten, wird inzwischen eine Toilette erneuert. Von Erwin Stöger erfahren wir, dass ein Railjet nie getrennt wird. Das Abkuppeln würde rund eine dreiviertel Stunde dauern, die Waggons bleiben immer in derselben Zusammenstellung.


Die Werkstatthalle ist das Herzstück des Knotens. Hier werden die Züge von oben bis unten überprüft. Foto: © ÖBB/Kurt Prinz

Die Saubermacher

Draußen ist es inzwischen endgültig dunkel geworden, aber der Betrieb am Knoten hat eher zugenommen. Eigentlich ganz logisch, denn spätabends sind weniger Fahrgäste unterwegs als tagsüber und damit können mehr Züge entbehrt werden. Wir schauen wieder hinüber zu unserem IC. Eine der wohl ungemütlichsten Arbeiten wurde zum Glück schon erledigt – das Entleeren der Toiletten. Dafür gibt es eine eigene Haltestelle auf halbem Weg zwischen Hauptbahnhof und dem Knoten.

Jetzt ist der Putztrupp dran. Er verschwindet gerade mitsamt seinen vielen Utensilien im Zug und wir folgen ihm. Nachdem alle liegen gebliebenen Zeitungen, Getränkedosen und Essensreste entfernt sind, geht es an die eigentliche Reinigung.


Foto: ©ÖBB/ Kurt Prinz

Da werden Fensterscheiben geputzt, Backöfen geschrubbt, der Boden gewischt. Nachdem wir hier unweigerlich im Weg stehen, machen wir uns auf den Weg zur Multifunktionsanlage – so wird die Gleisanlage hinter dem Hauptbahnhof genannt. Hier befindet sich auch die Verladestelle für Autoreisezüge. Als wir ankommen, sind gerade die VerschieberInnen am Werk. Die einzelnen Waggons wurden bereits mit den Autos beladen und mit der Verschiebelok auf das richtige Gleis gebracht – fehlt nur noch die Lok selbst.

Ein Kollege steht mitten vor dem ersten Waggon, während die Lok langsam rückwärts geschoben wird und ihn regelrecht einsperrt – natürlich beabsichtigt. Der Verschieber schließt nun die Luft- und Heizleitungen an und kuppelt die Lok mit dem Waggon. Der Autoreisezug ist jetzt fertiggestellt, der Lokführer bereit und es kann losgehen Richtung Vorarlberg.


Klo-Pause. Die Toiletten werden an einer eigenen Haltestelle innerhalb des Knotens entleert und mit frischem Wasser befüllt. Foto: © ÖBB/ Kurt Prinz

In der Waschstraße

Wir fahren wieder zurück Richtung Linse-Matz, wie Erwin Stöger und seine KollegInnen das Herzstück des Knotens nennen, und legen einen kurzen Zwischenstopp an der Waschanlage ein. Gerade rollt ein Railjet heran und der Lokführer gibt an dem kleinen Computer vor der Einfahrt die Zugdaten ein. Damit weiß die Waschanlage automatisch, welches Programm sie fahren muss – danach fährt der Zug in Schrittgeschwindigkeit durch die Anlage.


Foto: © ÖBB

Wir sind mittlerweile etwas hungrig und folgen nicht zuletzt deshalb den Caterern auf ihrem dem Weg zum Railjet auf Gleis 2, der hier schon seit rund einer Stunde steht und dem man sofort ansieht, dass die KollegInnen von der Innenreinigung ihre Arbeit schon erledigt haben. Gerade kommt der Kollege vorbei, der dafür sorgt, dass die Züge richtig beschriftet sind. Bei den älteren Garnituren passiert das mit kleinen gelben Zetteln, in einem Railjet geht das natürlich digital – USB-Stick angeschlossen und schon sind Zugnummer, Sitzplatzreservierungen und vor allem die Zugzielanzeige auf den digitalen Anzeigen zu lesen.

Währenddessen wird im Triebfahrzeug noch Sand nachgefüllt. Bei jedem Bremsvorgang wird etwas Sand auf die Räder und Gleise gestreut, damit sie besser haften. Gerade jetzt im feuchtkalten Winter ist das wichtig. Rund 250 Kilogramm Sand passen in den Behälter, etwa alle zwei Tage muss nachgefüllt werden. Für unseren Railjet ist der Zwischenstopp in Linse-Matz bald vorbei. In 30 Minuten fährt er von Wien Hauptbahnhof Richtung Salzburg. Damit hat er Glück gehabt – es hätte ja auch sein können, dass er die Nacht in Groß-Schweinbarth in Niederösterreich verbringen muss. Dort stünden nämlich die Chancen auf ein Graffiti nicht schlecht.

„In Groß Schweinbarth gibt es einen regelrechten ‚Graffiti-Tourismus‘, fast täglich gibt es neue – unsere Railjets wären bei den Sprayern übrigens besonders beliebt, sie werden aber bewacht.“

erzählt Erwin Stöger. Wird eines entdeckt, ist das der Polizei zu melden und wird nach spätestens drei Tagen entfernt. Inzwischen ist es spät geworden und wir verabschieden uns von Erwin Stöger und den KollegInnen, die hier noch bis sieben Uhr früh arbeiten. Dann wird es etwas ruhiger – bis am späteren Vormittag die Euronights eintreffen. Am Knoten Matzleinsdorf ist jedenfalls immer was los, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.


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