Wir waren einen Tag mit einem Lokführer unterwegs. Ein Traumberuf vieler Jungen und dann ein ganzes Leben…
An diesem Montag im Oktober ist es klirrend kalt und unwirtlich. Ein Empfinden, das von der Dunkelheit um 05:30 Uhr nachhaltig verstärkt wird.
Zumindest ist es im Melderaum am Stützpunkt Matzleinsdorf wohlig warm. Dort hat Christian Grainer offiziell um 05:41 Uhr Dienstbeginn. Das heißt, dass er sein TIM (TriebfahrzeugführerInformations-Management) updatet, also jenes Tablet, das jede/-r LokführerIn immer dabei hat und gewissermaßen auch der Guide bei jeder Zugfahrt ist.
Darüber hinaus prüft er in den Regalen, ob es neue Verzeichnisse für Langsamfahrstellen für die heutige Tour gibt. Eventuell tauscht er sich mit Kolleginnen und Kollegen aus, obwohl um 05:40 Uhr …
Rasche, unkomplizierte Übergabe
Christian Grainer ist Lokführer. Seine eigentliche Tour beginnt heute um 05:58 Uhr am Wiener Hauptbahnhof. Und wir begleiten ihn den ganzen Tag.
Mittlerweile ist es 05:56 Uhr, die S1 mit der Zugnummer 29227 fährt auf Bahnsteig 1 am Wiener Hauptbahnhof ein. Wir folgen unserem Hauptdarsteller durch den vordersten Eingang der Garnitur. Er klopft an den Eingang zum Führerstand und dreht den Schlüssel um. Der abzulösende Kollege dreht sich gerade in seinem Stuhl um und erhebt sich. Die Herren wechseln ein paar Worte. Christian Grainer stellt seinen Trolley hinter seinen Sessel, legt TIM auf die dafür vorbereitete Ablage, meldet sich und den Zug an. Spiegel ausklappen, ein Blick auf den Bahnsteig, den Knopf für die Abfahrtsansage drücken, Türen schließen, den Hebel nach vorne – sanft rollt die 4020er-Garnitur an.
Unser Weg heute Morgen führt uns nach Wiener Neustadt. Die Sonne vertreibt langsam die Dunkelheit und ab Mödling werden auch die Fahrgäste – insbesondere SchülerInnen – sprunghaft mehr. Während unser Lokführer seine Tour souverän abspult, sind auch wir mittlerweile langsam im Führerstand angekommen. Immer, wenn Zeit ist, werden wir in die „Geheimnisse“ des Lokfahrens und des Jobs Lokführer eingeführt.
27 Monate Ausbildung
Christian Grainer ist mittlerweile 25 Jahre Lokführer. Er wurde noch nach dem alten Schema ausgebildet. Voraussetzung war anno dazumal eine abgeschlossene Lehre in einem Metall verarbeitenden Beruf. Darauf folgten 27 Monate Ausbildung, davon 19 Monate aufgeteilt in Theorie und Praxis, sowohl auf Diesel- wie auch auf Elektro-Loks. Nach der Dienstprüfung folgt die 8-monatige sogenannte „Nabelschnur-Zeit“. Man wird unter Beobachtung immer mehr ins Lokführer-Leben entlassen.
Pünktlich um 07:12 Uhr treffen wir in Wr. Neustadt ein. Der Zug wird abgerüstet. Wir verlassen die Kabine. Es ist genug Zeit, um einen Kaffee am Bahnhof zu holen. Wir sind mittlerweile am anderen Ende der Garnitur angelangt und haben uns im Führerstand eingerichtet. Es folgen das routinemäßige Aufrüsten und Anmelden. Um 07:36 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg und fahren die gleiche Strecke retour.
Streckenkenntnis
Bei unserem Halt am Bahnhof Meidling bekommt unser Triebfahrzeugführer einen Befehl übergeben. Einen behält er, einen gibt er abgezeichnet zurück. Der Befehl gibt eine zu beachtende Langsamfahrstelle bekannt. Uns betrifft sie nicht mehr – sie liegt zwischen Wien Hauptbahnhof und Gänserndorf, wo der Zug noch weiter hinführt. Kaum sind wir abgefahren, klopft es an der Tür: eine junge Triebfahrzeugführerin. Sie möchte mitfahren, um sich eine Streckenkenntnis anzueignen.
Wir erreichen Wien Hauptbahnhof. Der Zug wird an den nächsten Lokführer übergeben und wir verlassen unsere Kabine. Jetzt steht eine kurze Pause am Programm. Wir besuchen den Pausenraum der LokführerInnen am Hauptbahnhof. Dort trifft Christian Grainer einige Kollegen. Ein kurzer Austausch, ein paar Fachsimpeleien, dann geht jeder seines Weges.
Unsere nächste Fahrt geht nach Hütteldorf. Mittlerweile ist das für uns bereits Routine. Übergabe, Anmeldung und los geht’s. Kurz vor unserem Zielbahnhof erreicht uns über Funk ein Anruf der Betriebsführungszentrale (BFZ).
Wir werden angewiesen, mit einer anderen Garnitur zurückzufahren, diese geht nach unserer Ankunft in die Werkstatt. Wir steigen um und unser Weg führt uns wieder zurück.
Nach unserer Ankunft am Wiener Hauptbahnhof stärken wir uns kurz in der Kantine der Unternehmenszentrale. Danach führt uns der Weg zum Stützpunkt in Matzleinsdorf.
Während sich Christian Grainer im Melderaum am PC updatet, betritt ein Instruktor (Lehrlokführer) mit einer Schar Lokführer aus St. Pölten den Raum. Sie werden mit der Umgebung vertraut gemacht, denn zu Fahrplanwechsel ist ihr Stopp dann nicht mehr der Westbahnhof, sondern eben der Hauptbahnhof und hier ihr neuer Stützpunkt in Wien. Ein Instruktor ist meistens in Matzleinsdorf und steht für die Fragen, Probleme der hereinkommenden LokführerInnen und für alles, was sonst noch soanliegt, bereit. Auch können sich die LokführerInnen Termine für die verpflichtenden regelmäßigen Schulungen ausmachen.
Wir machen uns langsam für unsere letzte Fahrt bereit. Unser Dosto-Wendezug mit einer 1144er-Lok steht bereits auf den Gleisen vor dem Stützpunkt bereit. Kein Bahnsteig, das heißt, wir müssen klettern. Das „Bordbuch Reparatur“ (RAS) zeigt, dass die Lok keine aktuellen technischen Probleme hat, die zu beachten sind. Sanft setzt sich unsere Lok in Bewegung. In Meidling nehmen wir unsere Fahrgäste auf.
Unser Weg führt uns am Nachmittag mit einem Halt in Wiener Neustadt nach Payerbach nahe dem Semmering. Umso mehr wir uns dem Semmering nähern, desto pittoresker wird die Landschaft.
Am Rückweg düsen wir ohne besondere Vorkommnisse durch die Dunkelheit zurück nach Wien Meidling und genießen den Blick aus dem Führerstand auf die beleuchteten Haltestellen, die Straßen und die Orte abseits, bis wir in Wien leicht wehmütig den Zug verlassen müssen.