Schienen sind das Grundgerüst des ÖBB-Netzes. Und die Beschaffenheit der Gleise hat großen Einfluss auf Sicherheit und Reisequalität. Ein Messwagen spult deshalb jährlich 20.000 Kilometer ab, um unser Streckennetz akribisch zu prüfen
Für zwölf Uhr Mittag ist die Abfahrt mit dem Messwagen in Richtung Linz anberaumt. Wie wir die Treppen des Hauptbahnhofs zu den Bahnsteigen emporsteigen, werden die Umrisse der Eurovision-Song-Contest-Taurus immer konkreter. Hinter der wuchtigen und doch sehr farbenfroh lackierten Lok ist ein fast unscheinbarer Wagen in Naturweiß und Mittelblau angekoppelt. Ältere Semester fühlen sich beim ersten Anblick an Garnituren der TransalpinGeneration erinnert. Auffällig ist vielleicht einzig das massive rote Stahl-Gestell direkt über dem Radlager mit der Aufschrift „Laserstrahl“ am Ende des Zuges.
Wenn man ein Stück weiter an dem Zug vorbei der Bahnsteigkante folgt, tief in die Hocke geht und den Schienen entlang zwischen den Rädern unter den Zug sieht, entdeckt man diese kleinen, zarten, roten Lichtpunkte, die man sonst üblicherweise aus Action-Krachern kennt und dort zumeist nichts Gutes verheißen.
Wir steigen die Treppen des Waggons nach oben und wenden uns nach links. Es öffnet sich eine breite Schiebetür und vor uns liegt ein Büro in einem Zug. Ein Doppelschreibtisch mit zwei gegenüberliegenden Arbeitsplätzen.
Die Taurus beginnt zu „singen“, ein leichter Ruck und der Zug setzt sich in Bewegung. Prompt beginnen die „Fieberkurven“ auf den Bildschirmen zu laufen. Doch der Messwagen untersucht keinen Patienten, er ist vielmehr in Sachen Gesundheitsvorsorge unterwegs.
Jahr für Jahr spult der Oberbaumesswagen rund 20.000 Kilometer ab, untersucht und prüft die Gleise und sammelt dabei akribisch Daten. Die Prüfung des Gleises verläuft wesentlich detaillierter, als sich das der Laie vorstellt. Ein Laserstrahl auf jeder Seite scannt die Schienenoberfläche – ob sie glatt oder rau ist. Gleichzeitig wird das Schienenprofil gemessen, wie sehr es abgefahren oder außerhalb der Norm ist. Auch wird die Gleislage, wie z .B. der Abstand der Schienen zueinander, gemessen. Auch würde bemerkt werden, wenn sich Schienen nach innen oder außen sowie nach oben oder unten wölben. Von der Schienenoberfläche werden die Daten alle 5 mm aufgenommen. Alle 25 cm, also alle Viertelmeter, werden der Abstand der Schienen sowie der Höhenunterschied und die Qualität der Schienenlage aufgezeichnet.
Doch mit dem Messen alleine ist es nicht getan. Natürlich ist es schon mal recht gut, einen Fehler zu finden und ihn aufzuzeichnen, ebenso wichtig ist es, ihn genau zu verorten, um zu einem späteren Zeitpunkt die Reparaturtrupps schnell und effizient wieder an die richtige Stelle schicken zu können. Und dafür kommt das GPS (Global Positioning System), wie es heute mittlerweile in jedem neuen Auto eingebaut ist, nur etwas genauer, und das ursprünglich in den USA für die militärische Luftfahrt entwickelt wurde, zum Einsatz. Dieses GPS nimmt alle 1 m einen genauen Standort auf. Am Zugende ist ein Apparat aufgebaut, ein sogenannter Lichtraumscanner, der den gesamten Oberbau samt seiner Umgebung mit Laserstrahlen ca. 3.000-mal abtastet und aufzeichnet. Damit können Abstände zum Nachbargleis, zu Bahnsteigkanten, Bahnsteigdächern usw. ermittelt werden.
Und auch am Zugende ist eine Kamera angebracht, diese filmt die gesamte Zugfahrt mit, um im Nachhinein jeder Überschreitung ein Streckenfoto zuweisen und bereitstellen zu können.
GPS-Daten und Filmbilder
Jetzt kommt der Zentral-Computer ins Spiel. Das ist ein spezieller Rechner, der die einzelnen Messwerte der verschiedensten Subsysteme sammelt und in einem gemeinsamen Geometriedatenfile abspeichert und in weiterer Folge als Messstreifen ausgibt.
Im Messwagen befindet sich eine speziell für die Gleismessungen adaptierte Form im Serverraum. Das ist quasi das Mastermind der Messfahrten. Dieser Rechner verknüpft gewissermaßen die rund 2.000 mit den Laserstrahlen aufgenommenen Daten pro Meter mit den GPS-Koordinaten und den Filmbildern. So entsteht ein sehr konkretes Bild über den Zustand und die Qualität der einzelnen Streckenabschnitte.
Und was passiert jetzt mit den Daten?
Akute Mängel, wenn das Gleis die sogenannte Soforteingriffsschwelle überschritten hat, werden direkt aus dem Zug an das Infra-Regionalmanagement weitergemeldet, das eine sofortige Reparatur-Intervention einleitet, die dann innerhalb von 48 Stunden stattfindet. Die restlichen Daten werden mit nach Hause genommen und dort in den zentralen Server eingespeist, ausgewertet, interpretiert und zur weiteren Verwendung aufbereitet. Somit kann wiederum der Einsatz einer Stopfmaschine koordiniert werden, der schadhafte Schienenteile und Streckenelemente wieder auf Vordermann bringt.
Am Server im Business Competence Center (BCC) werden über die aktuellen Daten hinaus auch die Messdaten der letzten zehn Jahre gespeichert, insgesamt „lagern“ auf den Servern bei BCC rund zehn Terabyte Messdaten.
Neben der Aufbereitung der aktuellen Daten werden nach der Rückkehr des Messwagens an seinen Heimatstandort die aktuellen Daten auch mit jenen der Messungen zuvor verglichen. So lassen sich neben dem aktuellen Zustand der Beschaffenheit der Gleise auch die Veränderungen kleinster Abschnitte aus den gesammelten Daten ablesen.
Die Beobachtung der Beschaffenheit der Gleise über längere Zeiträume ist ein Teil der aktuellen Instandhaltungsstrategie. So kann schon frühzeitig eingegriffen werden, noch bevor gravierende Schäden entstehen, und so können spätere kostspielige Reparaturmaß- nahmen vermieden werden. Seit 2007 haben sich beispielsweise die Einzelfehler unter der Soforteingriffsschwelle um über 70 Prozent reduziert.
Zahlen, Daten, Fakten
- 2,6 Mio. Streckenbilder
- 10 Terabyte Messdaten
- 6.528 Einzelmessfahrten, 358.000 km
- Alle 25 cm Lichtraumprofile mit bis zu 3.000 Punkten, Schienenprofile mit bis zu 1.000 Punkten
Abtastung alle 5 mm: Rauheit der Schienenoberfläche (Riffel, Schlupfwellen…)
Abtastung alle 25 cm: Gleislage. Diese besteht aus: Abstand der Schiene (Spurweite), Höhenunterschieden der Schiene (Überhöhung, Querhöhe), Qualität der Gleislage (Längshöhe, Richtung, Verwindung …)
Abtastung alle 1 m: Ortsbestimmung mittels korrigierter GPS-Signale (dGPS) Messung der Schienenquerschnitte Erkennen des Neuprofils und Vergleich zur Messung Ermitteln der Abnützungswerte (Höhen-Seitenabnützung) Berechnung der äquivalenten Konizität
- 8 Megabyte Messdaten/km
- 40 Megabyte Messdaten/km inkl. Lichtraummessung