Kleben ist in der Schienenfahrzeugindustrie immer mehr auf dem Vormarsch. Moderne Klebstoffe halten extremen Belastungen stand, sind einfach zu verarbeiten und bieten höchstmögliche Sicherheit im Betrieb. Mit simplen UHU-Tuben hat das aber nur wenig gemeinsam.
Züge, die mit mehr als 200 Sachen durch die Landschaft flitzen, sind nicht nur Wind und Wetter, sondern auch einer Menge anderen großen Belastungen ausgesetzt. Betrachtet man die bulligen Lokomotiven, denkt man unweigerlich an massive Schraubverbindungen, die diese Maschinen zusammenhalten. Nur die wenigsten wissen, dass elementare Teile heute ganz einfach nur mehr geklebt werden. Ganz einfach? Nicht wirklich.
Moderne Industriekleber haben mit simplen UHU-Tuben aber nur wenig gemeinsam. Deutlich aufwendiger sind die Vorbereitungsarbeiten und auch das Kleben selbst erfordert viel Wissen und sauberes Arbeiten. Trotzdem ist Kleben immer mehr auf dem Vormarsch. Denn sind alle Voraussetzungen erfüllt, ist eine Klebenaht äußerst zuverlässig und überaus widerstandsfähig. Die Klebeverbindung sorgt auch für gleichmäßigere Belastung der Dichtnaht. Und darüber hinaus ist durch die Elastizität der Klebenaht eine höhere Belastung möglich. Kleben gilt daher als wichtige Technologie der Zukunft.
Sicherheit bei Tempo 230
Moderne Klebstoffe halten extremen Belastungen stand, sind bei richtiger Anwendung vergleichsweise einfach zu verarbeiten und bieten zudem höchstmögliche Sicherheit im Betrieb. Kleben gewinnt daher auch in der Schienenfahrzeugindustrie zunehmend an Bedeutung. Braust ein railjet mit mehr als 200 Stundenkilometern durch Österreich, müssen die Stirnscheiben hundertprozentig fest sitzen. Beschädigungen der Frontscheibe könnten rasch gefährlich werden. Daher wird auch bei unserem Premiumzug beim Einbau der knapp einen Zentner schweren Scheiben auf die moderne Klebetechnologie gesetzt. Aber auch in zahlreichen anderen modernen Fahrzeugen, wie etwa Talent- und Desiro-Triebwagengarnituren und auch dem neuen Cityjet, werden die Scheiben geklebt.
Neben Stirn- und Seitenscheiben werden bei unseren Zügen auch vermehrt Dichtfugen, Fußböden und Innenraumverkleidungen geklebt. Wir wollten wissen, wie das genau abläuft, und haben in der Grazer Werkstätte unserer Technischen Services (TS) den dortigen Klebeprofis über die Schulter geschaut. Muss einmal eine Scheibe getauscht werden, kommen die TS-Klebepraktiker, augenzwinkernd auch Klebeteufel genannt, zum Einsatz. Ihre blauen Werkzeugwagen enthalten alles, was zum Kleben notwendig ist, und sind stets einsatzbereit. Kleber, Klebepistole, Handschuhe, Pinsel, Abdeckmaterial sowie erforderliche Unterlagen und Klebeanweisungen – alles da.
Streng nach Vorschrift
„Kleben erfordert sauberes und präzises Arbeiten“, klärt uns Gernot Thorstädter, verantwortliche Klebeaufsichtsperson der TS-Werkstätte in Graz, auf. „Es müssen die vorgeschriebenen Verarbeitungszeiten exakt eingehalten und geeignete Materialien verwendet werden. Hat ein Klebstoff zum Beispiel sein Ablaufdatum bereits erreicht, darf er keinesfalls mehr verwendet werden. Hier gibt es sehr strenge Vorgaben. Aber natürlich muss man auch die notwendige Schutzausrüstung verwenden. Gummihandschuhe und – wenn erforderlich – auch Atemschutzmaske und Schutzbrille.“
Schlag auf Schlag
Damit eine Stirnscheibe ausgebaut werden kann, muss mit einem oszillierenden Messer zuerst der alte Kleber rausgeschnitten werden. Sieht zwar ziemlich einfach aus, ist aber kein leichter Job. Ganz im Gegenteil, das kann ziemlich anstrengend sein und zaubert den Klebeteufeln nicht selten erste Schweißperlen auf die Stirn. Ist der Kleber, der irgendwie an Lakritze erinnert, dann endlich entfernt, kann in einem nächsten Schritt die Scheibe vorsichtig ausgebaut werden. Währenddessen muss die neue Scheibe bereits sorgfältig vorbereitet werden. Dazu braucht es absolut saubere und staubfreie Arbeitsplätze. Zugluft ist jetzt tabu, ebenso die Verwendung von Silikonsprays. Denn das wäre der Tod jeder Klebenaht. Zudem muss auf die Umgebungstemperatur geachtet werden. Der ideale Bereich liegt zwischen fünfzehn und fünfunddreißig Grad Celsius.
Sind all diese Rahmenbedingungen erfüllt, geht es Schlag auf Schlag. Mit einem Wollwischer wird ein Primer auf die Klebefläche der Scheibe aufgetragen, damit danach der Kleber besser haftet. Gleichzeitig wird mit der drei Kilogramm schweren Klebepistole der neue Kleber am Fahrzeug aufgetragen. Ab jetzt beginnt die Zeit zu laufen, denn binnen zwanzig Minuten muss die neue Scheibe eingepasst sein. Denn sonst beginnt der Kleber vorzeitig auszuhärten und die Arbeiten waren umsonst. Knapp hundert Kilo bringen die größten Stirnscheiben auf die Waage. Da muss dann auch die Technik zur Unterstützung her. Mit Saugnäpfen auf der Einbauhalterung fixiert, wird die Scheibe mit dem Kran millimetergenau angepasst und vorsichtig in das Klebebett hineingedrückt. Ist der Kleber ausgehärtet, wird die Fuge abgedichtet und der railjet ist bereit für seine nächste Reise.
INFOBOX
Klebetechnik
Kleben ist ein spezieller Prozess, der auch bei der Herstellung und Instandhaltung von Schienenfahrzeugen und -fahrzeugteilen eingesetzt wird. Die erforderlichen Rahmenbedingungen und Vorschriften sind in der DIN-Norm 6701 festgelegt.
Kleben wird in die Bauteilklassen A1 bis A4 eingeteilt: Klebeverbindungen von Schienenfahrzeugen und -fahrzeugteilen mit hoher (A1), mittlerer (A2), und geringer (A3) Sicherheitsanforderung sowie für Betriebe ohne eigene klebetechnische Fertigung, die geklebte Bauteile einkaufen und montieren (A4).
Bei TS sind aktuell zwölf von 21 Werkstätten in Österreich nach der DIN.Norm 6701-2 zertifiziert, acht davon für die Bauteilklasse A1.