Ich spannte meinen Schirm auf. Durch den starken Wind peitschte mir der Regen dennoch ins Gesicht – dieses trostlose Wetter spiegelte meine Stimmung wider. Und obwohl heute Freitag war, mein Lieblingstag der Woche, war ich den Tränen nahe und wollte einfach nur mehr heim und mich das ganze Wochenende unter der Decke verkriechen.
Ein Gastbeitrag von Kornelia Neunteufl
Frustriert über das Leben und über mich selbst, weil mich das Leben so runterziehen konnte, trottete ich den Leuten vor mir nach von der U-Bahn Station Friedensbrücke in Richtung Franz Josefs Bahnhof. Mir stand wie jeden Tag eine über einstündige Zugfahrt von meinem Arbeitsplatz in Wien in meine Heimatstadt im Waldviertel bevor. Ich fuhr erst seit kurzem wieder täglich mit der Franz-Josefs Bahn. Das letzte Mal damals zu meinen Studienzeiten, damals wo ich noch große Träume hatte, wo ich im Zug noch von der Zukunft und meinem Schwarm fantasierte, kurzfristig für Prüfungen lernte oder mir einfach den Rausch vom Vortag ausschlief, alles während der Zug unermüdlich von der Pampa im Waldviertel in unsere Hauptstadt fuhr und die wunderschöne Landschaft von Niederösterreich am Fenster vorbeizog. Bald zog ich damals jedoch nach Wien um mein Glück zu finden. Ein Glück, das jetzt vor kurzem zerbrach.
Und jetzt pendelte ich mit 37 Jahren wieder wie damals mit 18 heim ins Waldviertel. Die gute Franz Josefs Bahn erinnerte mich jetzt schmerzlich bei jeder Fahrt an mein früheres Leben, an alles was ich erreichen wollte und an alles was ich in den Sand gesetzt hatte. So betrat ich wie jeden Tag den schon in die Jahre gekommenen Bahnhof – diesmal klatschnass – und blickte wie gewohnt auf die Anzeigetafel, Abfahrt 14:28 REX 2114 nach Ceske Velenice, Bahnsteig 3. Ich lag gut in der Zeit, der Doppelstock-Wiesel stand schon am Bahnsteig bereit und ich konnte noch einen Fensterplatz in Fahrtrichtung ergattern. Freitags waren die Züge ins Waldviertel immer übervoll da die Wochenendpendler mit ihrem Gepäck dazukamen. Gegenüber von mir setzte sich noch eine Frau mittleren Alters hin und ein Jugendlicher mit einer Sporttasche nahm neben mir Platz. Die Dame fing gleich zu schlafen und der Jugendliche mit dem Handy spielen an. Das enge Kuscheln und die tägliche Heimfahrt konnten beginnen.
In der ersten Haltestation gesellte sich niemand zu uns und ich hoffte schon Beinfreiheit zu haben, aus dem Fenster schauen und Trübsal blasen zu können. Doch dann kam die Station Heiligenstadt, wo noch einige Leute zustiegen. Unter diesen war auch ein sehr alter Mann, der geradeaus zu dem mir gegenüberliegenden freien Platz kam und höflich fragte ob dieser noch frei sei, was ich ohne es mir anmerken zu lassen, widerwillig bejahte. Er setzte sich und der Zug nahm seine Fahrt auf, raus aus der Großstadt. Der ältere Mann starrte mich lange an und ich wusste nicht, ob ich es ignorieren sollte. So spielte ich verlegen an meinem Handy herum. Dann fragte er mich plötzlich ob ich einen guten Tag hatte. Verwundert lächelte ich und verneinte, dass ich schon bessere Tage hatte. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust im Zug Small Talk mit einem Fremden zu führen. Doch er ließ nicht locker, er fragte warum. Ich war irgendwie überhaupt nicht vorbereitet im Zug bei meiner täglichen, langweiligen Heimfahrt nach einem harten Arbeitstag (trotz Freitag) von einem Fremden angesprochen und ernsthaft nach meinem Wohlbefinden gefragt zu werden. Kurz antwortete ich, aber er fragte weiter. Ich gab ihm wieder eine Antwort und er erkundigte sich weiter. Und weiter. Und dann ergab sich ein Gespräch und ich erzählte ihm alles – erzählte von ihm, der alles für mich war, der mir mein alles jedoch genommen und mir mein Herz gebrochen hatte, dass ich glaubte kaum mehr weiterleben zu können. Ich erzählte dem alten Mann, dass ich mir die Schuld daran gab, weil meine Arbeit alles war und ich dort so viel zu tun hatte und jetzt auch merkte, dass ich mir das alles nur eingebildet und ich auch berufsmäßig nichts weitergebracht hatte. Dass ich einfach alles verloren hatte. Alles. Das einzige was ich wieder hatte war meine tägliche Fahrt heim ins Waldviertel zu meiner Familie, zu der ich wieder zurückgezogen war.
Wir waren bereits in Ziersdorf und die Reisenden neben uns waren ausgestiegen und ich konnte nicht mehr und begann zu weinen. Da nahm der Alte meine Hand und lächelte und sagte ich soll einmal aus dem Fenster schauen. Ich blickte hinaus. Die Landschaft zog vorbei, wunderschön und es regnete auch nicht mehr. Er sagte, ich soll doch die Augen öffnen und die Schönheit der Natur wahrnehmen. Das Leben zieht so schnell vorbei wie der Zug an der Landschaft und es ist keine Zeit Trübsal zu blasen. Jede Zugfahrt ist eine Reise im Leben und bringt einen an einen Ort, wo man die Möglichkeit hat, sich und seine Träume zu verwirklichen und das Beste an dem Ort zu machen. Beim Pendeln kann man das sogar großartig umsetzen. Jeder Tag in Wien in der Arbeit bietet die Chance, seine Tätigkeiten toll erledigen zu können oder auch einen neuen Job finden zu können und jede Heimkehr zu der Familie bietet die Chance, Zeit mit seinen Liebsten zu haben und das Landleben genießen zu dürfen. Und an irgendeinem Ort findet sich auch wieder die große Liebe. Während der Zugfahrt kann man sich darauf freuen, was einem im Zielort erwartet und Pläne schmieden. Der Alte meinte, ich solle die Chance nützen, die mir zur Verfügung steht. Man hat nur ein Leben, eine Fahrt.
Ich war sprachlos, so dachte ich noch nie darüber. Ich wollte noch was antworten, da merkte ich, dass ich schon am Ziel war. Hastig lächelte ich dem alten Mann zu sagte danke und stieg aus. Am Bahnsteig wollte ich ihm noch zuwinken. Doch es saß niemand mehr auf dem Platz. Der Platz war leer und der alte Pendler weg. Ich fahre täglich mit dem Zug und komme täglich an einem Ort an, wo es besser werden kann, alles. Vielleicht sogar gleich dieses Mal. Ich lächelte und blickte in den strahlend sonnigen Himmel.
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